Chaozhou Style Gong Fu Cha - Eine Einführung

Gong Fu Cha oder wie man auf Minnanhua, dem lokalen Dialekt, sagen würde «Gang Hu Dää» ist überall in der südchinesischen Stadt Chaozhou anzutreffen und dient als Grundpfeiler der Alltagskultur.
Diese Gegend begründete vor etlichen hundert Jahren die Gongfucha-Tradition, die heute in grossen Teilen von China gelebt wird. Hier ein Versuch, ihre Eigenarten aufzuzählen und unsere Faszination für diese berühmte Zubereitungsart zu teilen.

Chaozhou Gong Fu Cha ist eine lebendige Angelegenheit. Neben dem Teetablett brodelt ständig ein Wasserkocher. Die Gefässe sind winzig und werden eifrig nachgefüllt, es herrscht muntere Bewegung. Tee flutet umher, Tassen werden gebadet, weisse Wölkchen steigen auf. Der starke Tee weckt die Sinne und klärt den Geist. Das Porzellan klappert und es wird laut geschlürft, die ganze Szene ist in duftenden Teedampf gehüllt.

Anleitung für den Alltag – Chaozhou Gongfu Cha

Bereite die Materialien vor und wähle die Umgebung: die Atmosphäre wird sich auf den Teegenuss auswirken. Du brauchst Tee, heisses Wasser, eine Kanne oder einen Gaiwan (ca. 100ml), drei kleine Tassen. Optional ein Blatt Papier, Unterteller oder kleines Teeboot und eine Schale für Restwasser und verbrauchten Tee. Falls du das Wasser nach der traditionellen Methode erhitzen möchtest, brauchst du zusätzlich ein Stövchen mit Holzkohle, einen Fächer und eine Wasserkanne aus Keramik.

Auf einem einfachen Teetablett oder einem runden Porzellan-Teeboot werden Gaiwan und Tassen gestellt. Wo kein Teeboot vorhanden ist, dient auch mal ein Plastikhocker oder ein flacher Stein als Unterlage. Verwendet wird einfachste Gebrauchskeramik, schnörkellos und funktional. Am meisten verbreitet sind kleine, weisse Porzellane.

Erhitze das Wasser. Lege den Tee auf ein Blatt Papier und fülle den Gaiwan oder die Kanne grosszügig mit Teeblättern, ca. zu dreiviertel oder mehr. Das Papier, an zwei Enden gefasst und gekippt, dient zum Einfüllen. Die Teeblätter werden mit den Fingern nicht berührt.

Giesse kochendes Wasser in die Kanne, bis diese leicht überläuft. Streiche vor dem Schliessen den Schaum mit dem Deckel weg. Giesse ohne Verzögerung alles in die Tassen oder eine Schale – dieser Aufguss dient nur zur Reinigung. Optional kann er auch zum Spülen der Tassen verwendet werden.

Fülle die Tassen erneut, entweder aus der Kanne oder direkt aus dem Kessel. Leere eine Tasse aus und lege sie seitlich in die benachbarte noch volle Tasse, so dass knapp die Hälfte des Tassenrandes im Wasser ist. Mit zwei Fingern rotiere die getauchte Tasse um ihre Achse, so dass sie rundherum gewaschen wird. Danach leere die Tasse aus und wiederhole den Vorgang mit den anderen. Dieser Schritt braucht viel Übung und du wirst dir anfangs die Finger verbrühen.

Giesse erneut mit kochendem und hohem Strahl Wasser über die Teeblätter. Setze sofort den Deckel auf. Übergiesse, falls du eine verwendest, die Kanne aussen mit kochendem Wasser, um die Temperatur zu halten. Warte ca. 5–10 Sekunden – je nach Tee, oder auch bis die Kanne aussen getrocknet ist.

Giesse den Tee gleichmässig mit einer Schwenkbewegung in einem Strahl („關公巡城“ – „Guan Gong patrouilliert durch die Stadt“) in die angeordneten Tassen abwechslungsweise hin und zurück. Die letzten Tropfen werden tropfenweise aufgeteilt („韓信點兵“ – „Han Xin zählt seine Soldaten“), um das Gleichgewicht zu wahren. Der Tee sollte in allen Tassen die gleiche Farbe und somit Stärke haben.

Der Aufguss wird mit einem Wink den Gästen angeboten oder gereicht. Es gilt als höflich, sich mit einem zweimaligen Fingerklopfen auf den Tisch beim Gastgeber zu bedanken, bevor die Tasse genommen wird. Wer solche Gepflogenheiten nicht kennt, wird deswegen nicht gescholten.

Der Tee wird zügig und geräuschvoll getrunken. Die Flüssigkeit wird eher inhaliert als gekippt. Beinahe ohne, dass die Tasse die Lippen berührt, wird mit einem saugenden Luftstrom der Tee im Mund in eine intensiv duftende Aromasprühwolke verwandelt. Das schmeckt besser und mit dieser Technik ist es möglich, selbst brühend heisses Wasser zu sich zu nehmen.

Wiederhole die letzten zwei Schritte für weitere Aufgüsse. Optional können die Tassen wieder gespült werden. Je nach Teesorte und Qualität sind 6–12 Aufgüsse üblich, mit leicht verlängerter Ziehzeit. Jedes Mal wird neu abgegossen, neu serviert, erneut aussen übergossen usw. Getrunken wird, bis der Tee keinen Geschmack mehr abgibt, dann kommt der nächste.

Klassischerweise wird Feng Huang Dan Cong (Phoenix Single Bush), ein Oolong, für diese Zubereitung verwendet, da es sich um den lokalen Tee handelt, doch auch andere Tees können in dieser Zubereitung spannend sein.

Wem es nicht an überschwänglicher Leidenschaft für diese eigenartige Teezubereitung mangelt, kann auch das Wasser auf traditionelle Weise kochen. Man informiere sich über die Brandschutzverordnung im Haus, besorge sich gute, geruchslose Holzkohle, ein Stövchen und eine Kanne aus Keramik, mit der dann das Wasser aufgekocht wird. Mit diesen Mitteln könnte dann eine solche Teezusammenkunft auch in der freien Natur, vorzugsweise in der Nähe einer Bergquelle, die das Wasser für den Tee spendet, stattfinden. Zugegen nur Keramik, Kohle, Teeblätter und Wasser. Eine angenehme Abwechslung.

Von strenger Zeremonie kann in dieser alltäglichen Beschäftigung nicht die Rede sein. Es geht nicht unbedingt um Etikette oder Stil, es geht um Tee.

Chen Xiangbai: Zubereitung, Philosophie und Äesthetik

Formelles Chaozhou Gong Fu Cha

Die Differenzierung in formell und informell ist eine willkürliche Unterscheidung von mir, die nur betonen soll, dass es verschiedene Spielarten dieser Teezubereitung gibt: Sie kann auf einem Spektrum verortet werden. Die schlichte Funktionalität des Alltagstees hat das formelle Teetrinken ebenso geprägt wie umgekehrt die ausgefeilten Formen der Teeschulen den einfachen täglichen Genuss von Dancong. Da es bei der formellen Zubereitung konkrete, wiederkehrende Abläufe gibt, sehen wir auf den Strassen Menschen, die manche Elemente aufnehmen und andere ignorieren. Genauso verhält es sich mit den zugrunde liegenden Werten.

Chen Xiangbai und die "Sieben Tugenden"

Wer die chinesische Teekultur verstehen möchte, kommt kaum um Chen Xianbai herum. Teemeister Chen Xiangbai (*1937) ist einer der wichtigsten lebenden Vertreter des Chaozhou Gong Fu Cha. Er hat einige Grundlagenwerke zur chinesischen Teekultur geschrieben (z.B. „Teegespräche“ Cha Tan – 茶谈) und ist Vertreter des immateriellen Kulturerbes sowie UNESCO Botschafter für Weltfriedenskultur. Über viele Jahre sammelte und systematisierte er das überlieferte Wissen der Teekultur und hat viele Schüler:innen ausgebildet.

In seinem ersten grossen Werk «Chinesische Teekultur» (Zhongguo Cha Wenhua –中国茶文化) entwickelte er das Konzept der „Sieben Tugenden und ein Herz“, dass die philosophischen und praktischen Aspekte der chinesischen Teekultur zusammenfassen. Er legt einen besonderen Fokus auf das Prinzip der „Harmonie“ (和). Die „Sieben Tugenden“ (七义) umfassen:

  • Cha Yi (茶艺 – Teekunst) - Die Praktische Ausführung

  • Cha De (茶德 – Teemoral) - ethisch-moralische Haltung im Umgang mit Tee, Tugenden wie Respekt, Bescheidenheit

  • Cha Li (茶礼 – Tee-Etikette) - gesellschaftliche Formen und Rituale, Höflichkeit im Teetrinken

  • Cha Li (茶理 – Teetheorie) - rationale Prinzipien, Naturgesetze, die dem Tee zugrunde liegen

  • Cha Qing (茶情 – Teegefühl) - emotionale und sinnliche Erfahrung, das Empfinden beim Teetrinken

  • Cha Xueshuo (茶学说 – Teephilosophie) - theoretisch-philosophische Reflexion über Tee und seine Bedeutung im Leben

  • Cha Daoyin (茶导引 – Teeführung/Übung) - körperlich-geistige Praxis im Zusammenhang mit Tee, vergleichbar mit Qigong

Das „eine Herz“ (yī xīn 一心) steht für die innere Haltung: absolute Präsenz im Moment, um zur Einheit von Handlung, Gefühl und Gedanke zu kommen. Es ist die einfache aber ehrliche Zuwendung zum Tee, den Menschen und dem Leben selbst.

Es geht immer darum wie der Mensch durch die Begegnung mit der Natur seine innere Haltung kultiviert und durch das Ausbalancieren von Gegensätzen, einen harmonischen, freudvollen Zustand erreicht. Ganz im Sinne von Konfuzius sagt Chen, dass der Kern der chinesischen Teekultur in der Selbstkultivierung des Menschen liege; ihre ästhetische Basis sei die Idee der Einheit von Himmel und Mensch (天人合一). Ein Leitgedanke, der sich durch Chen Xianbais Schriften zieht, lautet: Betrachtet man die Entwicklung der Teekultur erkennt man durchwegs das Prinzip von tiānrén héyī (天人合一) – der Einheit von Himmel und Mensch.

21 Schritte des Chaozhou Gongfu Cha

Zudem dokumentierte und lehrt Chen die „21 Schritte des Chaozhou Gongfu Cha“, eine detaillierte Anleitung zur Zubereitung von Gongfu-Tee, die sowohl technische Fertigkeiten als auch kulturelle Bedeutung vermittelt.

Hier die 21 Schritte wie sie im offiziellen Regelwerk von Guangdong nachzulesen sind übersetzt mithilfe von AI.

  1. Bei qi (备器)Bereitstellen und Ordnen der Teegeräte

  2. Sheng huo (生火)Olivenholz-Kohle wird entfacht, Quellwasser zum Kochen gebracht

  3. Jing shou (净手)Gastgeber wäscht sich die Hände

  4. Hou huo (候火)Luftzufuhr mit dem Fächer, bis die Kohle glüht

  5. Qing cha (倾茶)Hochwertiger Tee wird auf weißem Papier geprüft

  6. Zhi cha (炙茶)Der Oolong wird über Kohle leicht geröstet

  7. Wen hu (温壶)Die Kanne wird mit heißem Wasser übergossen

  8. Xi bei (洗杯)Die Trinkschalen werden mit heißem Wasser gerollt/erwärmt

  9. Na cha (纳茶)Der Oolong wird in die Kanne gegeben

  10. Gao zhu (高注)Das Wasser wird in hohem Bogen schnell eingegossen

  11. Run cha (润茶)Der Tee wird mit Wasser benetzt, um ihn zu „wecken“

  12. Gua mo (刮沫)Der Deckel streicht sanft den Schaum von der Oberfläche

  13. Chong zhu (冲注)Der eigentliche Aufguss erfolgt aus hoher Position

  14. Gun bei (滚杯)Die Tassen werden mit heißem Tee rotierend gespült

  15. Sa cha (洒茶)Der Tee wird in alle Tassen gleichmäßig verteilt („Guan Gong patrouilliert die Stadt“)

  16. Dian cha (点茶)Letzter Tropfen in jede Schale („Han Xin zählt seine Truppen“)

  17. Qing cha (请茶)Höfliche Einladung zum Trinken des Tees

  18. Wen xiang (闻香)Zuerst wird das Aroma des Tees gerochen

  19. Chuo wei (啜味)Der Geschmack wird erschmeckt

  20. Shen yun (审韵)Das Aroma im Nachhall prüfen

  21. Xie bin (谢宾)Erneuter höflicher Dank an die Gäste

Nach Chen steht Gongfu-Tee für eine Atmosphäre des Respekts und der Harmonie. Vieles ist tief in der konfuzianischen Lehre getränkt. Beim Servieren gilt: Der, die Ranghöhere oder Ältere wird zuerst bedient. Wenn der, die Gastgeber:in selbst den Tee reicht, sollte man ihn mit beiden Händen annehmen oder mit einem leichten Klopfen auf den Tisch danken. Gleichrangige oder enge Bekannte laden sich mit einer Geste ein – der Tee wird höflich entgegengenommen, man zeigt gegenseitige Achtung und Wertschätzung.

Nach ihm ist der Stil des Chaozhou Gongfu Cha schlicht und herzlich. In jedem Akt des Einschenkens und der gegenseitigen Rücksichtnahme wächst das gegenseitige Verständnis – und die Verbindung wird tiefer. „Gäste mit Tee zu empfangen“ ist ein Ausdruck der Tugenden von Chaozhou.

Die Achtsamkeit, welche konzentriertes Teezubereiten erfordert setzt sich ungezwungen in den Bewegungen nieder. Eine korrekte Armhaltung beim Eingiessen des Wassers ist nicht nur rigide gelehrte Tradition der Form, sondern beabsichtigt die angenehmste und stimmigste Variante dieser Bewegung. Die Objekte sind auf das Wesentliche reduziert, schön ist nicht das Prunkvolle, sondern das Unaufdringliche.

In Chaozhou heisst es Gongfu Cha war einst der Tee der Handwerker. Als Chen einen alten Meister danach fragte, wo Gong Fu Cha den Ursprung hat, sagte dieser: „Wenn der Schmied das Eisen erhitzte, stand eine Kanne Wasser daneben – er trank bei kurzen Pausen während der Arbeit Tee.» Ein einfacher Tee also, so wird Teeweg auch heute in Chaozhou noch vielerorts gelebt. Ein gängiges Sprichwort lautet: „Hon suk m zi geng“ (看熟唔知惊) – „Wenn man etwas zu oft sieht, verliert man den Respekt davor“. Wer das Alltägliche wirklich versteht, entdeckt darin das Tiefgründigste.

Als Chen einmal bei einem wichtigen Treffen zwischen der japanischen und chinesischen Teeschulen von einem Iemoto (Oberhaupt/Linienhalter einer Schule) gefragt wurde, welche Teekunst besser sei, die japansiche oder die chinesische sagte er: «Beide haben ihre Stärken. Chaozhou Gongfu-Tee ist eine Alltagskunst, die den Alltag veredelt. Die japanische Teekunst ist das Gegenteil: Sie macht aus Kunst einen Lebensstil.“

Toby Hurschler, Mai 2025