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Reisebericht: Suzhou und Dongshan 03.-07. April 2019

Hochhäuser in ShanghaiNach dem Abschied am Nannuoshan geht die Reise zunächst nach Shanghai. Wir verlassen Jinghong, eine verhältnismässig kleine, sehr ländliche Provinzstadt, bei Temperaturen zwischen 30°C und 35°C. Nach fünf Stunden Flug landen wir in Shanghai, 15°C, kosmopolitische Grossstadt. Der Kontrast könnte kaum grösser sein. Nach staubigen Tagen in Yunnan geniessen wir die kühle Frische und die herausgeputzten Strassen. Zwischen Hochhäusern und Autos, an mehrfach kontrollierten Strassenkreuzungen transportieren kleine Motorräder alltägliche Güter, hochaufgestapelt und dennoch sicher. Wir übernachten nur einmal, bevor unsere Reise weiter geht nach Suzhou, der Heimat des Bi Luo Chun.
Wir stehen morgens früh auf, denn Kaspar Lange steht ein Gang zur Bank bevor. Eine Überweisung nach China ist kompliziert. Es gilt stetig wechselnde Regeln zu befolgen betreffend Betrag und Art des Senders, privat oder geschäftlich; um den Betrag in chinesische Renminbi zu wechseln verlangt die Bank von Ausländern persönliches Erscheinen. Der Ablauf geht heute problemlos von statten und wir sind beide erleichtert, schliesslich sind wir für den Teeeinkauf auf das Geld angewiesen. Nun machen wir uns auf nach Suzhou. Die Reise im Hochgeschwindigkeitszug dauert nur 35 Minuten. Ich persönlich stelle mir da den Bahnhof Bern vor: Ticket kaufen, in den Zug einsteigen, 35 Minuten fahren und schon sollte das Ziel erreicht sein. Drei Dinge habe ich bei dieser Vorstellung ausser Acht gelassen: 1. China ist riesengross, 2. in China leben viele Menschen, 3. in China werden die Personen unter allen möglichen Umständen kontrolliert. Die Fahrt zum Bahnhof dauert seine Zeit, beim Eingang in die Metro wird das Gepäck durchleuchtet, der Weg von der Metrostation zum Ticketschalter ist weiter als gedacht, bevor die Halle mit den Schaltern betreten werden darf, wird wieder das Gepäck kontrolliert, vor den Schaltern ist die Warteschlang lang, für den Ticketkauf werden die Pässe kontrolliert, die Passnummer wird auf dem Ticket vermerkt, der Bahnhof ist wiederum weiter vom Schalter entfernt als ich mir vorgestellt habe, vor dem Bahnhof lenkt ein Personenleitsystem den Menschenstrom zum Eingang, dort werden Gepäck und Pass erneut kontrolliert. Endlich sind wir im Bahnhof angelangt und tatsächlich - die Zugfahrt dauert 35 Minuten. Unterwegs waren wir vom Start bis zum Ziel dennoch drei Stunden.
In Suzhou gehen wir direkt zum Teemarkt, um im eleganten Laden von Zheng Shishuai einzukaufen. Das Geschäft ist relativ schnell abgehandelt. Wie üblich kaufen wir bei ihm einen Bi Luo Chun. Dieses Jahr ist die Erntezeit später als üblich. Die Temperaturen bleiben tief, dadurch wachsen die Blätter nur langsam. Zheng Shishuai stellt uns drei Tees zur Degustation bereit, wovon einer schon zu Beginn nicht in Frage kommt. Für den chinesischen Markt hergestellte Tees werden häufig nach ihrem Aussehen beurteilt. Diese „hübschen“ Tees sind für uns uninteressant, denn wir suchen Aromenvielfalt und Tiefe. Uns ist bewusst, dass in dieser Preisklasse alle hier vorgestellten Tees dem Zeitgeist entsprechen; die Blattbehaarung ist ausgeprägt und wird durch die Verarbeitung zusätzlich hervorgehoben, der Aufguss schmeckt blumig, frisch und süss. Wir analysieren die Tees nach bestem Wissen und Gewissen und kaufen unseren klaren Favoriten ein. Anschliessen streichen wir durch die Regale des Geschäftes und wählen Zubehör aus, das uns zurzeit in Bern fehlt.

Drei Bi Luo Chun stehen im Geschäft von Zheng Shishuai bereit zum Riechen und BegutachtenDie aufgegossenen Tees werden direkt ab Glas degustiert und in mehreren Aufgüssen beurteiltDer ausgewählte Tee wird im Lagerraum verpackt und anschliessend von Kaspar Lange zur Post gebracht

Zwei Woks sind gleichzeitig in Betrieb. Für unseren Bi Luo Chun Single Wok werden die Woks mit Feuer beheizt, diese traditionelle Methode wird nur noch selten angewendetDie meisten Geschäfte hier im Teemarkt sind winzig klein, mit Kisten vollgestopft, deren Inhalt wir lieber nicht trinken möchten. Viele der Tees werden als originale Bi Luo Chun verkauft, stammen jedoch oft von irgendwoher, die Meisten schmecken unangenehm und legen die Vermutung nahe, dass die Gärten nicht ideal und die chemische Behandlung mit Dünger und Pestiziden ausgiebig ist. Ein gut gelegener Teegarten mit hoher Biodiversität reguliert sich als Mikrokosmos selbst. An Lagen, die zu viel Sonne, zu viel Wasser oder zu wenig Biodiversität bieten greift der Mensch eher ein, um Effizienz und Ertrag der Pflanzen zu steigern oder um sie vor Schädlingen zu schützen. Wenn wir nun im Teemarkt einkaufen sind wir auf unsere Nasen und Münder angewiesen. Wir können die Qualität beurteilen und sind mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis einverstanden. Die hundertprozentige Garantie, dass alle Informationen stimmen, gibt es allerdings nicht. Die können wir nur dort abgeben, wo wir vor Ort die Produzentin oder den Produzenten begleiten können. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, nur weil man direkt im Anbaugebiet ist und einen schönen Garten vor Augen hat, heisst das noch lange nicht, dass zum einen genau dieser Tee verkauft wird oder zum anderen der Tee sorgfältig und korrekt hergestellt wird.
Wir alle wünschen uns absolute Transparenz. Doch genau so wie der vertraute Gang zum Bahnhof Bern stelle ich mir auch dies viel zu einfach vor. Obwohl ich mich mit den Gesetzen von Wirtschaft und Gesellschaft bewusst auseinandersetze, stelle ich mir vor, in ein Geschäft, zu einer Produktionsstätte zu gehen, zu bestellen, die interessanten Informationen abzufragen und dann mit Klarheit und Qualität im Gepäck weiter zu ziehen. Dies ist selbstverständlich eine fast schon kindlich naive Sicht auf die Dinge. Obwohl ich mir den Herausforderungen des Teehandels bewusst bin, merke ich dass ich auf dieser Reise immer wieder überrascht werde, enttäuscht und traurig bin. Offenherzigkeit kombiniert mit einem klaren Sinn für die Realität scheint mir die gesündeste Grundhaltung zu sein.

Das Feuer wird von einer Person ständig kontrolliert, auf Ansage der Herstellerin am Wok wird die Temperatur erhöht oder gesenktGerne zeichnen wir das Bild der Künstlerin oder des Künstlers, welche mit viel Erfahrung und Sorgfalt ihr Handwerk zur Meisterschaft bringen. Nüchtern betrachtet sehen wir in den Teedörfern Familien, welche sich seit Jahren dem Teeanbau sowie der Teeherstellung widmen. Dies ist jedoch weniger künstlerisch als alltäglich. In Dongshan am Taihu, innerhalb des Originalgebietes von Bi Luo Chun, steht praktisch in jeder Küche ein Wok. Pragmatisch, praktisch, ursprünglich - doch leider das Gegenteil von sorgfältig und kunstfertig. Für hervorragende Tees ist diese Integration des Tees in den Gesamtalltag (als Gegenteil zum Arbeitsalltag) sehr ungünstig. Ideal ist ein Atelier, das sich zumindest in einem ausschliesslich für die Teeherstellung genutzten Raum befindet. Das Bewusstsein für ein gutes Geschäft ist hingegen praktisch überall Vorhanden. Bi Luo Chun ist berühmt, gesucht und Prestigeobjekt. Rund um Qingming, das chinesische Totenfest, sind die ansonsten menschenleeren Dörfern voller Händlerinnen, Händler und Touristen, welche ebenfalls anreisen, um in den Teebergen zu wandern und Tee einzukaufen. Unsere Kriterien der sorgfältigen Auswahl des Gartens, der Produktionsstätte und der Qualität in der Herstellung scheinen für niemanden von Interesse zu sein. Diese Tatsache stellt uns vor eine besondere Herausforderung: wenn die Produzentinnen und Produzenten ihre Tees mit weniger Aufwand für mehr Geld verkaufen könnten, weshalb sollten sie an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert sein?


Die geernteten Blätter werden sorgfältig aussortiert, nur die schönsten Knospen und Blätter sollen für den aussergewöhnlichen Bi Luo Chun Single Wok verwendet werdenGleichzeitig werden die schon vorhandenen Wok-Durchgänge degustiert und verglichen. Dieses Jahr ist die Qualität konstant und auf allen Ebenen gelungenDie verbliebenen Bruchstücke werden ausgesiebtFür die Deaktivierung der Enzymaktivität im Blatt werden die Blätter für Bi Luo Chun im heissen Wok abwechselnd aufgeschüttelt…… und gerolltWährend der Trocknung im nun nur noch warmen Wok werden die Blätter von Hand gerollt, so erhält der Tee seine Form

Aufstieg in die Teehügel um die Stadt Dongshan am Tai Hu, Fruchtbäume säumen den Weg

Weng Liping bringt viel Erfahrung mit und hat dadurch die Möglichkeit, die Menschen weiterzubilden. Wie ist ein Atelier ideal eingerichtet, worauf gilt es in der Herstellung zu achten, wie können weitere Personen ausgebildet werden, was ist für die Pflege des Teegartens besonders zu beachten? Diese Fragen sind massgeblich für die Qualität eines Tees. Entsprechend unserer Vorstellungen der traditionellen Teedörfer, sollten die alten Teefamilien über das grösste Fachwissen verfügen. Doch Tee wird dort oftmals aus Gewohnheit und ohne Bewusstsein für die erwähnten Faktoren hergestellt. Daher sind es oft auswärtige Technikerinnen und Techniker, die ihr Fach bewusst erlernt und so die höchste Qualität erreichen. Weng Liping begleitet auch unsere Biluochun-Produzentin seit mehreren Jahren. Sie entwickelte ein unglaubliches Gespür für den Tee, ihre Single Woks sind konstant von aussergewöhnlicher Qualität. Wir freuen uns sehr, dass wir auch dieses Jahr ihren besonderen Tee im Sortiment führen dürfen.


Tina Wagner Lange, Suzhou und Hangzhou 7.-9. April 2019



Kiefern sind in diesem Terroir sehr verbreitet, ein gutes Zeichen für die Bodenbeschaffenheit der HügelEinzelne Bäume oder Wälder umgeben die Teegärten, die Biodiversität beeinflusst die Qualität des Ortes, der Pflanzen und der daraus entstehenden TeesAusblick auf die Teehügel der UmgebungDie Teehügel sind in kleine Parzellen unterteilt, dieser Abschnitt wird von unserer Produzentin bewirtschaftetTeepflanzen zwischen Pipa-Bäumen, die Frucht ist neben Tee eine weitere Spezialität der Region. Der Austausch zwischen de Pflanzen prägt den Charakter des TeesTina Wagner Lange im Teegarten unter Kiefern

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