Chaozhou-Porzellan
Auf unserer diesjährigen Einkaufsreise in China machten wir auch Halt in Chaozhou.
Diese Stadt ist berühmt für zwei Dinge: ihre Ess- und Teekultur. Chaozhou begründete die Gong-Fu-Cha-Tradition und ist die Heimat des einzigartigen Feng Huang Dan Cong, ein äusserst intensiver und komplexer Oolong, der hinter der Stadt in den Hügeln landeinwärts angebaut wird.
Nirgends sonst in China wird Teekultur auf diese Weise gelebt wie hier. Ausnahmslos in jedem Innenhof, in jeder Garage, jedem noch so winzigen Grümscheliladen steht irgendwo ein kleines Tablett mit einem Gaiwan und ein paar Tassen drauf, bereit für den nächsten Aufguss.
Per Zufall finden wir über Yu Jian, von dem wir ab diesem Jahr Teekannen aus Chaozhou-Ton bekommen, einen Kontakt für Chaozhou-Porzellan.
Etwas ausserhalb vom Stadtzentrum treffen wir uns mit Qiu Zhiduo. Er führt uns in den obersten Stock eines alten Industriegebäudes. Hier haben sein Vater Qiu Taoxiang und er eine kleine Porzellan-Produktionsstätte eingerichtet. Die Luft riecht nach feuchtem Ton und Zigarettenrauch. Es steht nur das Nötigste im Raum: lange Regale voller halbfertiger Teekeramik, Kisten, einige Maschinen, ein Teetisch. Gearbeitet wird in der Hocke oder auf kleinen Kisten, chinesisch bodennah. Wir werden herzlich willkommen geheissen und trinken, wie es sich gehört, zuerst mal einen starken Dan Cong. Unzählige Aufgüsse folgen über die nächsten Stunden.
Wir bekommen einen kleinen Rundgang. Vater Qiu Taoxiang hat früher in der staatlichen Porzellan Fabrik gearbeitet und konnte ein paar alte Gerätschaften übernehmen, die hier immer noch täglich Verwendung finden.
In der Keramikherstellung, wie auch bei der Teeproduktion, kommt es auf die Feinheiten bei den einzelnen Schritten der Produktion an. Jeder Mensch, der beabsichtigt ein Produkt zu erschaffen, muss allerlei subtile Entscheidungen treffen. Manche gibt der Stand der Technologie vor, andere sind ästhetischer oder marktwirtschaftlicher Natur. In dieser Produktion wird jede Tasse in vielen Arbeitsschritten immer wieder in die Hand genommen.
Zhiduo und Taoxiang erklären uns, wie sie arbeiten. In ihrer Produktion wird jede Tasse in vielen Arbeitsschritten immer wieder in die Hand genommen.
Sie benützten Gipsformen, für den ersten Formgebungsschritt: einen Klumpen Ton zu einem gefässähnlichen Rohling zu formen.
Die Gipsformen, worin der Ton eingedreht wird, stellen sie selbst her. Nur die Mutterform, das Positiv, aus dem dann die Negative/Gipsformen gemacht werden, lassen sie von einem Freund in einer Metallwerkstatt drehen. Sie haben einige verschiedene Modelle, beschränken sich aber zumeist auf ein paar wenige Formen. Eine Handvoll für Cups und einige wenige, woraus Gaiwan geformt werden.
Die wichtigste geerbte Apparatur aus der staatlichen Fabrik ist die, mit der der Ton eingedreht wird.
Entscheidend ist, dass der Druck auf den Hebel, mit dem der Ton in die Form gepresst wird von Hand ausgeübt wird; dies erlaubt eine feine Kontrolle. Dieser Vorgang wird normalerweise viel effizienter automatisiert ausgeführt. Das sei mit einer der Gründe, warum ihre Manufaktur kaum konkurrenzfähig sei.
Im Gegensatz zu den grossen Fabriken sind ihre Porzellane teurer, jedoch gäbe es noch einige Teeläden, die die Qualität ihrer Handarbeit schätzen würden. Hier stellt sich die Frage, die immer wiederkommt, wie weit darf Effizienzstreben gehen, wo fängt Qualitätsverlust an?
Qiu meint, es sei unsinnig in unserer Zeit komplett auf Technologie zu verzichten: warum Arbeitsschritte nicht verbessern, wenn die Qualität erhalten bleibt? Die feinen Unterschiede merke mensch dann im Produkt selbst.
Nach dem Trocknen werden die Cups abgedreht. Qiu zeigt uns ein Drehwerk, dass er aus einem Ventilator gebastelt hat. Damit drehen sie die Rohlinge auf die endgültige Form ab. Mit einem scharfen Werkzeug wird die Wanddicke abgetragen und die Lippe geformt.
Nach dem Trocknen werden die Cups in einem kleinen Ofen vorgebrannt. Bei diesem Schrühbrand trocknen sie aus und verschiedene Stoffe werden ausgebrannt. Die Temperaturkontrolle ist hier essenziell: zu tief und Bestandteile wie Kohlenstoff sorgen für Fehler beim späteren Brand, zu hoch und die Poren der Masse werden zu klein und die Glasur kann nicht mehr richtig aufgenommen werden. Danach haben die Stücke die Festigkeit eines alten Shortbreads, deshalb wird dieser Vorgang auch Biskuitbrand genannt.
Anschliessend wird in je einem Schritt innen und aussen die transparente Glasur aufgetragen.
Im hinteren Teil des Stockwerks steht ein grosser, mit Gas beheizter Ofen, daneben sitzt ein flauschiger Kater im Käfig. Eine gerettete Strassenkatze, sagt Qiu, von denen gäbe es leider zu viele in Chaozhou.
Hier brennen sie alle Stücke im Glasurbrand bei etwa 1400°C. In den Stunden, in denen die Stücke im befeuerten Ofen verbringen, passiert die verblüffende Verwandlung. Aus zerbrechlichen, dumpf getönten Schälchen werden strahlendweisse, durchscheinende und erstaunlich stabile Porzellane. Unter der enormen Hitze schmelzen Stoffe zusammen, das Wasser entweicht, Poren werden gefüllt.
Qiu unterstreicht mehrmals, dass diese Temperatur massgebend ist für die Qualität ihrer Stücke. Zu oft werde in der Industrie gespart, indem tiefere Temperaturen angewendet werden. Porzellan, dass ungefähr bei 1200°C gebrannt wird, sieht zwar aus wie handelsübliches Porzellan, ist aber wegen einer weichen Oberfläche viel anfälliger auf Abnutzung und Korrosion.
Die Stücke kommen knapp einen Fünftel kleiner heraus, als sie hineingeschoben wurden. Dieser als Schwund bezeichnete Effekt kann oft zu Deformationen führen. Es gibt keine perfekt runden Porzellan-Gegenstände. Eine kleine und wichtige Erinnerung, dass wir hier mit Vorgängen arbeiten, die wir nur scheinbar komplett in den Griff bekommen haben. Der Schwund ist nur zu einem gewissen Mass kontrollierbar und selbst in High-end Öfen sind Deformationen nicht vermeidbar. Bei solch dünnem Porzellan, wie es hierhergestellt wird, ist die Toleranzgrenze höher als bei dickerer oder tiefgebrannter Keramik. Auch das im Unterschied zu den berühmten Marken in Jingdezhen oder Dehua, wo der Anspruch auf Porzellan mit makelloser Glasur und annährend perfekter Gleichmässigkeit beim Schwund während dem Brennverlauf besteht. Ein nicht kleiner Teil der Produktion kann diesen Standards nicht gerecht werden und ist Ausschuss. Die Produktionskosten steigen.
Die Qius setzen auf Qualität zum einen im Sinne von spürbarer Handarbeit und zum anderen dem Gesundheitsaspekt. Qiu betont, dass sie Gebrauchsgeschirr herstellen. Keine fancy Deko auf den Tassen, keine geschnürten Polsterboxen. Sie machen Geschirr, um des Tees willen.
Die Funktion wird durch durchdachte Form fein abgestimmt. Wir redeten lange über die Kontur der Gefässe und wie Millimeter Abweichungen bei einem Winkel an der Tasse das Trinkerleben komplett verändert. Ganz im Sinne vom Chaozhou Gong Fu Cha, der hier gelebten Teekultur, wirken ihre Produkte simpel und nuanciert.
Nach einem Mittagessen entscheiden wir uns für eine Cupform und Gaiwan in zwei Grössen.
Akribisch wird jedes einzelne Stück eingepackt, es dauert bis spät in den Nachmittag und lohnt sich: Wochen später kommt alles unbeschadet in Bern an.
Wie immer ist der Versand der Ware in die Schweiz die grösste Herausforderung. Auch sie haben noch nie ins Ausland verschickt, möchten es aber probieren und es folgt das gewohnte Programm; Kaspar brilliert mit seinen Kenntnissen der bürokratischen Prozesse der chinesischen Post. Heute gestaltet sich alles etwas schwieriger, es ist Sonntag und die meisten Poststellen haben geschlossen. Mit der Kiste voll Porzellan und Kaspar hintendrauf fährt Qiu quer durch Chaozhou auf der Suche nach einer geöffneten China Post Filiale.
Mehr über die Zubereitung und Hintergründe des Chaozhou Gong Fu Cha in dieser kleinen Einführung:
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